Knabe liest Buch mit seiner Schwester im Hintergrund

Tagesstätte TANDEM – eine intergenerative Familie

Inmitten eines Wohnquartiers in Bülach, ZH, befindet sich die intergenerative Tagesstätte TANDEM. Jeden Tag teilen hier bis zu vier Generationen ihren gemeinsamen Alltag: Vom drei Monaten jungen Baby bis zur 90-jährigen Seniorin. 

In der Tagesstätte TANDEM dekorieren und spielen Jung und Alt Hand in Hand. Eine Seniorin bastelt zusammen mit der jüngsten Generation an der neuen Dekoration Unter dem Motto «Zusammen ist es schöner als alleine» bauen sie Barrieren ab und schaffen gegenseitiges Verständnis. Dieses einzigartige Konzept der Tagesbetreuung vereint jeden Tag verschiedene Generationen und vereint so die professionelle Betreuung der Kleinsten und den Reifsten unter einem Dach.

Als Tagesgäste begrüsst TANDEM aber nicht nur fitte Senioren, sondern auch Personen mittleren Alters die zum Beispiel an Demenz erkrankt sind. So greift TANDEM auch den Angehörigen unter die Arme und bringt Entlastung in deren Alltag.  Wir waren in Bülach zu Besuch und erlebten einen intergenerativen Tag in der Tagesstätte TANDEM. Gerne nehmen wir Sie mit, treten Sie ein!

Das Lachen der Kinder empfängt uns bereits vor dem Eingang der Tagesstätte TANDEM. Die Leiterin, Anja Froehlich, wartet schon auf uns – und wir platzen mitten ins Z'Nüni. Mit grossen Augen sehen uns die Kinder an. Die einen schauen neugierig auf das Objektiv der Kamera, die anderen sind skeptisch und stecken die Köpfe zusammen. Heute ist eine Seniorin vor Ort und verbringt ihren Tag in der Tagestätte. Sie begrüsst uns freundlich.

 

Von Jung bis Alt – in der Tagesstätte TANDEM machen alle mit

«Wir haben zwei Wohnungen mit Garten zusammengelegt und damit nun genug Platz für unsere täglichen Gäste», erzählt uns Anja Froehlich, während sie uns stolz die Räumlichkeiten von TANDEM zeigt. Ein gemeinsamer Raum für die Mahlzeiten, ein Ruheraum für die Kleinen, ein separater Ruheraum für die Tagesgäste, ein Raum zum Basteln, einer zum Herumtoben und der Garten – alles barrierefrei. «Wir legen sehr viel Wert darauf, dass sich alle Altersgruppen bei uns wohlfühlen. Deshalb gestalten wir die Räume gemeinsam und basteln Dekorationen dafür», so Anja Froehlich. Auf dem Tisch warten bereits die Farbtöpfe für die nächsten Bastelarbeiten.

 

In der Tagesstätte ist jeder Tag anders als der andere

Nun versammeln sich alle im grossen Raum mit dem Spielturm aus Holz zum rumklettern. Auf einem runden Teppich sitzen, liegen und stehen die Kleinen, die Seniorin hat auf einem Stuhl platzgenommen. Zusammen stimmen sie ein Kinderlied an und bewegen sich dabei passend zum Text: Sie strecken die Arme in die Höhe, klatschen in die Hände und formen sie danach zu kleinen (und grösseren) Fäusten. Anja Froehlich erklärt: «Das Programm sieht jeden Tag anders aus. Wir singen, wir basteln, wir bewegen uns, sind je nach Wetter drinnen oder draussen oder unternehmen einen Ausflug. Es hängt natürlich auch von den Personen ab, wie sie miteinander harmonieren und wie sie Lust und Laune haben. Wichtig ist, dass alle mitmachen können – die Kleinen und die Grossen!»

 

 Intergeneratives Lernen

Bis TANDEM täglich seine Pforten öffnen konnte, war lange Vorarbeit nötig. Zuerst wurde ein Pilotprojekt gestartet: Einen halben Tag in der Woche verbrachten die Kinder aus einer KITA mit den Seniorinnen und Senioren aus einem Altersheim. Schnell wurde klar: Das soll es jeden Tag geben. Aus dem neugegründeten Trägerverein entstand die intergenerative Tagestätte TANDEM. «Wir merkten schnell, dass es funktioniert. Die Senioren haben Freude an den Kindern. Heutzutage haben auch nicht alle Kinder ihre Grosseltern in der Nähe. So ergänzen sie sich perfekt», so Anja Froehlich.

Kinder sind unbefangen und gehen offen auf die Tagesgäste zu: «Es passiert häufig, dass ein Kind sich ein Spiel oder ein Buch schnappt, und sich einfach zu einem unserer Senioren setzt. Dann heisst es ‹Lies mal vor› oder ‹Komm, wir spielen das›. Die Senioren machen mit. Teilweise spielen sie sogar noch weiter, wenn die Kinder schon beim nächsten Projekt sind!» Die Tagesstätte kennt keine Einschränkungen. Auch wer nach einem Schlaganfall, durch Demenz oder einer anderen Krankheit Betreuung benötigt, ist bei TANDEM willkommen. Es ist schön zu beobachten, wie alle ihren Alltag geniessen und dabei wieder Neues lernen. «Meistens werden die Spiele nach eigenen Regeln gespielt. Die Kinder kennen die Regeln oft noch nicht, und die Tagesgäste können sich zum Teil nicht mehr daran erinnern. Wenn wir dann einem Dreijährigen erklären, wie zum Beispiel Memory wirklich funktioniert, so sieht der Senior das auch und beide profitieren davon.»

 

Parallelen in den Lebensphasen

Anja Froehlich ist überzeugt: «Zwischen den Generationen funktioniert es auch deshalb so gut, weil es viele Parallelen gibt. Die Kinder erkennen, dass ihr Kinderwagen ähnlich ist wie der Rollstuhl einer älteren Person. Alle bekommen die Unterstützung, die sie brauchen. Und dabei lernen sie, hilfsbereit miteinander umzugehen.» So helfen die Grossen den Kleinen, wenn sie noch nicht zum Regal hinaufkommen, oder die Kleinen öffnen den Tagesgästen die Türen, wenn sie aufgrund eines Gehstockes oder Rollators nicht so gut zum Griff fassen können. «Natürlich ist nicht jede Person gleich. Kinder merken sehr schnell, ob jemand zum Beispiel traurig ist oder Unterhaltung gebrauchen kann. So kann es sein, dass sich ein Kind zu einem unserer Senioren auf die Couch setzt und einfach seine Hand hält. Dann wird eben nicht gesprochen und das ist auch in Ordnung so.»

 

Eine Tagesstätte die enge Beziehungen schafft

Zwischen den Generationen entstehen enge Bindungen. Die klassischen Kindergartenfreundschaften gibt es auch bei TANDEM, manchmal ist einfach der Altersunterschied grösser. «Gelegentlich gibt es lustige ‹Pärchen ›, sodass ein Kind auf einen Tagesgast besonders stark reagiert. Diese fühlen sich zum Teil verantwortlich für die Kleinen und lassen sie gar nicht mehr aus den Augen!», schmunzelt Anja Froehlich.

Aber es gibt auch traurige Momente bei TANDEM. «Wenn einer unserer Tagesgäste stirbt, werden die Kinder mit dem Tod konfrontiert. Wir erklären ihnen, was passiert ist, stellen ein Foto und eine Kerze auf. Die Kinder reagieren ganz unterschiedlich darauf. Manche gehen immer wieder zum Foto und bleiben ganz still davor stehen. Manchmal machen wir auch einen Ausflug auf den Friedhof und besuchen die, die früher ihre Tage bei uns verbracht haben. Für die Kinder ist das etwas ganz Besonderes. Da gibt es natürlich traurige Momente.»

 

Plausch in der KITA

Im Garten drehen die Kinder ihre Runden im Karussell. Plötzlich beginnt es zu regnen. Flink ziehen die Betreuerinnen jedem Kind seine Regenjacke an. Auch wenn der Regen den meisten Kindern nichts ausmacht. Als der Regen zu stark wird, flüchten alle auf die überdachte Terrasse. Schnell findet man ein Überbrückungs-Programm. Die Kinder und ihre Betreuerinnen sitzen im Kreis und singen ein Lied. Dazu klopfen sie mit ihren Händen auf die Schenkel und machen das Geräusch galoppierender Pferde nach, ein paar der Kinder hüpfen im Takt mit. Währenddessen hilft die Seniorin drinnen bei den Mittagsvorbereitungen und füttert zwischendurch ein Baby. «Es ist wie eine Familie hier», erzählt sie mit einem Lächeln. «Ich war selbst einmal Kleinkinderzieherin und nun bin ich wieder in der KITA! Ich habe hier meinen Plausch mit den Betreuerinnen und mit den Kindern und fühle mich gut aufgehoben. Ich kann mithelfen, wenn ich möchte, muss es aber nicht. Der Alltag ist die beste Therapie!»

Alles rund um das Thema Intergeneration in der Schweiz finden Sie auf www.intergeneration.ch. Auf dieser Plattform sind alle aktuellen Informationen zu finden bezüglich laufenden Projekten und Veranstaltungen.